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50 Jahre Schweiz – Europarat

Illustration ©Schweizerische Eidgenossenschaft; Text: Prof. Dr. Stephan Breitenmoser, Ordinarius für Europarecht an der Universität Basel

Vor 50 Jahren, am 6. Mai 1963, trat die Schweiz dem Europarat bei. Sie hat die Tätigkeit des Europarats in vielfältiger Weise mitgeprägt. Die Arbeit des Europarats ihrerseits hatte mannigfaltige Auswirkungen auf die Schweizer Rechtsordnung.

Der Europarat im Allgemeinen

Der Europarat wurde im Jahr 1949 als völkerrechtliche Organisation mit Sitz in Strassburg gegründet. Die Gründungsmitglieder waren zehn (westeuropäische) Staaten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs im Jahr 1989 sind nahezu alle osteuropäischen Staaten sowie Russland dem Europarat beigetreten. Ihm gehören nunmehr 47 Mitgliedstaaten an.

Der Europarat verfolgt im Rahmen seiner Tätigkeit die folgenden Hauptziele:

  • die Förderung, Verbreitung und Sicherung von pluralistischer Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten sowohl in den alten als auch in den neuen Mitgliedstaaten
  • die Suche nach Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme Europas (z.B. Minderheitendiskriminierung, Umweltverschmutzung, prekäre Haftverhältnisse);
  • die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität.

Aufgrund seiner begrenzten Mittel und der zunehmenden Konkurrenz durch die EU auf zahlreichen Gebieten ist der Europarat in jüngerer Zeit bestrebt, seine Aktivitäten stärker auf einzelne Bereiche zu fokussieren. Er hat sich deshalb auf drei Schwerpunkte festgelegt: den Schutz und die Förderung der Demokratie (1), der Menschenrechte (2) und der Rechtsstaatlichkeit einschliesslich der Justiz- und Verwaltungszusammenarbeit (3; als „rule of law“ bezeichnet) in Europa. Durch diese Fokussierung soll die Tätigkeit der Organisation eine stärkere Wirkung entfalten und für die europäische Öffentlichkeit sichtbarer werden.

Wichtige Einrichtungen des Europarats sind die Parlamentarische Versammlung, das Ministerkomitee und das Sekretariat. Die Parlamentarische Versammlung setzt sich aus 318 von den 47 nationalen Parlamenten delegierten Mitgliedern und ebenso vielen Stellvertretern zusammen. Jeder Mitgliedstaat entsendet je nach seiner Bevölkerungszahl 2-18 Abgeordnete an die Sitzungen. Diese finden dreimal jährlich in Strassburg statt. Als ein rein konsultatives Organ ohne eigentliche Entscheidungsbefugnisse kann die Parlamentarische Versammlung Empfehlungen an das Ministerkomitee oder Entschliessungen (Resolutionen) an die Öffentlichkeit richten (z.B. zur Abschaffung der Todesstrafe in allen Mitgliedstaaten). Im Ministerkomitee ist jede Regierung durch ihren Aussenminister oder dessen Stellvertreter (Botschafter) vertreten. Das Ministerkomitee beschliesst diejenigen Massnahmen, die zur Erfüllung der Ziele und Aufgaben des Europarats geeignet sind, wie etwa die Ausarbeitung neuer internationaler Übereinkommen oder die Verabschiedung von Empfehlungen an die Mitgliedstaaten (z.B. zahlreiche Empfehlungen über die Behandlung von Häftlingen). Das Sekretariat mit rund 2‘000 Mitarbeitenden steht den anderen Organen zur Seite. Es wird von einem von der Parlamentarischen Versammlung auf fünf Jahre gewählten Generalsekretär geleitet. Seit 2009 übt dieses Amt der Norweger Thorbjørn Jagland aus.

Im Jahr 1999 wurde das Amt des Kommissars für Menschenrechte eingerichtet. Seit 2012 wird das Amt von Nils Muižnieks ausgeübt. Der Kommissar für Menschenrechte ergänzt die bestehenden Europarats-Einrichtungen im Bereich der Menschenrechte und wird mit von diesen nicht wahrgenommenen Aufgaben betraut. Der Kommissar ist unvoreingenommener Begutachter und Berater in Menschen- und Grundrechtsfragen. Er erstattet dem Ministerkomitee und der Parlamentarischen Versammlung jährlich Bericht.

Der Europarat hat bis heute 212 europäische Konventionen ausgearbeitet. Grundsätzlich steht es den Mitgliedsstaaten frei, ob sie die Konventionen unterzeichnen und ratifizieren möchten. Die Abkommen des Europarats setzen in der Regel materiell- und verfahrensrechtliche Mindeststandards in einem bestimmten Bereich. Herzstück ist die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), die im Jahr 1950 unterzeichnet und mittlerweile durch 14 Zusatzprotokolle ergänzt wurde. Alle Mitglieder des Europarats müssen auch Vertragsstaaten der EMRK sein. Die Garantien der EMRK sind in den einzelnen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbar, weshalb sie von Betroffenen direkt gegenüber Behörden und Gerichten geltend gemacht werden können. Betroffene können bei Verletzungen von Garantien der EMRK Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erheben, nachdem sie den nationalen Rechtsweg ausgeschöpft haben.

Die Schweiz und der Europarat im Besonderen

Für die Schweiz als Nichtmitglied der EU ist der Europarat neben den Vereinten Nationen und der OECD eine der wichtigsten internationalen Organisationen, in denen sie aktiv mitwirkt.

Die für die Schweiz im Jahr 1974 in Kraft getretene EMRK hat – zusammen mit der Rechtsprechung des EGMR – weite Bereiche des Schweizer Rechts beeinflusst. Der Grundrechtskatalog der neuen Bundesverfassung von 1999 enthält z.B. teils nahezu gleichlautende Garantien. Als Beispiel zu erwähnen ist das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK, welches nunmehr in Art. 13 Abs. 1 BV nahezu wortgleich verankert ist. Das Bundesgericht bezieht die Rechtsprechung des EGMR regelmässig und in umfassender Weise in seine Entscheidfindung ein. Die zumeist unmittelbar anwendbaren Garantien der EMRK waren überdies Anlass zu zahlreichen Änderungen im Schweizer Verfahrensrecht. So entscheiden nun beispielsweise in allen Kantonen richterliche Behörden über die Anordnung oder Rechtmässigkeit von Untersuchungshaft. Die vorstehenden Beispiele machen deutlich, dass die EMRK im schweizerischen Rechtsdenken einen festen Platz eingenommen hat.