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Chinesische Arbeiter als Soldaten im Ersten Weltkrieg
Zu Beginn wurde China die Teilnahme am Ersten Weltkrieg verwährt. Um seine Rolle in der internationalen Gemeinschaft dennoch aufzuwerten, entsandte das Reich der Mitte stattdessen Arbeitskräfte an die britischen und französischen Kriegsindustrien. Diese "Arbeiter als Soldaten" waren Chinas bedeutendster Beitrag zum Ersten Weltkrieg.
In der Neuzeit fand Chinas erster enthusiastischer Versuch, am weltpolitischen Geschehen teilzuhaben und um internationale Anerkennung zu werben, während des Ersten Weltkriegs statt. Zwar unterhielt das Reich der Mitte schon seit jeher Aussenbeziehungen durch transkontinentalen Handel oder Expeditionen ins Ausland. Diese waren jedoch auf einem sogenannten „Tributsystem“ aufgebaut, einer sinozentrischen Weltordnung, die davon ausging, alle anderen Länder seien kulturell minderwertig und damit in der Pflicht, Chinas zivilisatorischen Vorsprung anzuerkennen und materielle sowie rituelle Abgaben zu erbringen, um überhaupt offizielle Beziehungen etablieren zu können. Mitte des 19. Jahrhunderts wollten einige der europäischen Mächte „gleichwertigere“ Beziehungen mit China aufbauen – ihre Bestrebungen führten zu Spannungen und Konflikten. Erst im Verlauf des 19. Jahrhundertshttps://europa.unibas.ch/ wurde China durch verschiedene militärische Niederlagen dazu gezwungen, ungleiche Abkommen zu akzeptieren. Dadurch sahen sich die chinesischen Eliten schliesslich veranlasst, die altehrwürdige politische Ordnung zu überwinden. Mit einem brandneuen Konzept internationaler Beziehungen vor Augen, erhoffte sich China, schon bald eine Rolle in der internationalen Gemeinschaft zu spielen. Um diese Vision zu realisieren, entsandte das Reich der Mitte während des Ersten Weltkrieges zahllose Chinesen nach Europa. Diese sogenannten „Arbeiter als Soldaten“ waren Chinas bedeutendster Beitrag zum Ersten Weltkrieg.
Als die Nachricht vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 Peking erreichte, sprachen sich einige chinesische Intellektuelle und hohe Amtspersonen für einen Kriegsbeitritt Chinas aus; sie sahen den Ersten Weltkrieg als einmalige Gelegenheit, sich durch ihre Kriegsteilnahme am internationalen Geschehen zu beteiligen und so das Ansehen des Landes unter den anderen Weltmächten zu verbessern. Seit den Opiumkriegen Mitte des 19. Jahrhunderts hatte China eine militärische und diplomatische Niederlage nach der anderen hinnehmen müssen, sowohl gegen europäische Mächte, als auch gegen Japan. Dies führte nicht nur zu finanziellen Verlusten, sondern auch zu einer Beeinträchtigung der nationalen Identität und des Nationalstolzes – zumal das Reich der Mitte enorm hohe Entschädigungszahlungen leisten und exterritoriale Gebiete abtreten musste. Um das Land wieder aufblühen zu lassen, forderten Sozialreformer zum einen eine Umgestaltung des politischen Systems nach westlichem Modell und zum anderen Chinas Beteiligung in der internationalen Gemeinschaft. Eine Gelegenheit, diese Ziele umzusetzen, bot sich mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914, nur zwei Jahre nachdem der kaiserliche Hof gestürzt worden war und sich das Land zur Republik gewandelt hatte. Amtspersonen und Intellektuelle sprachen sich öffentlich dafür aus, dass die Regierung Vorbereitungen für den Kriegsbeitrag treffe.
Zudem musste sich China einem dringlichen Problem mit seinem Nachbarn Japan stellen: Schon seit dem späten 19. Jahrhundert hatte der Inselstaat Interesse am chinesischen Festland bekundet. Am 8. August 1914 wies Grossbritannien Japan auf die Vereinbarungen der Anglo-Japanischen Allianz aus dem Jahr 1902 hin und trat den alliierten Mächten bei. Innerhalb der darauffolgenden Woche versuchte Japan die Deutschen dazu zu drängen, ihre Pachtgebiete auf der chinesischen Shandong-Halbinsel abzugeben; ein strategischer Schachzug, mit dem das Land eindeutig seine Interessen an China und Nordostasien verfolgen wollte. Kurz nach der formellen Kriegserklärung an Deutschland blockierten japanische Truppen den Hafen Qingdaos, landeten auf den von Deutschland befestigten Gebieten und übernahmen die Kontrolle über die von Deutschland errichteten Bahnstrecken. Nachdem die Japaner Deutschland besiegt hatten, legten sie China Einundzwanzig Forderungen vor. Darin bestanden sie beispielsweise auf Japans Übernahme der einstigen deutschen Rechte sowie auf die Erweiterung des japanischen Einflussbereichs auf die südliche Mandschurei und die östliche Innere Mongolei. Der Versuch Chinas, in dieser Angelegenheit von den Vereinigten Staaten unterstützt zu werden, stellte sich als diplomatischer Fehlschlag heraus und konnte die Chinesen nicht vor dem japanischen Übergriff retten. Bei Kriegsbefürwortern weckte das Shandong-Problem die Hoffnung, der Erste Weltkrieg könne den Weg für eine Lösung der Auseinandersetzung ebnen und eine Wiederherstellung der chinesischen Souveränität ermöglichen – sofern es China gelingen würde, an den Friedensverhandlungen nach dem Krieg teilzunehmen.
Schon im Jahr 1914 hatte China den alliierten Mächten Interesse an einer Kriegsteilnahme signalisiert. Wenig überraschend war dieses Vorhaben jedoch auf die kategorische Ablehnung Japans gestossen – die Japaner drohten sogar damit, im Krieg die Seiten zu wechseln, sollte China die Erlaubnis erhalten, in den Krieg einzutreten. Als Alternative bot China an, „Arbeiter als Soldaten“ zu entsenden; ein Plan, der in Frankreich auf grosses Interesse, bei den Briten jedoch eher auf Ablehnung stiess. Als sich aber im Laufe der Kämpfe sowohl in Frankreich als auch in Grossbritannien ein starker Mangel an Arbeitskräften abzeichnete, wandten sich die beide Staaten an China und kamen auf das Angebot zurück. Die angeworbenen Arbeiter – leistungsfähige Männer, die im Alter von 20 bis 40 Jahren waren und zumeist aus dem Norden Chinas kamen – wussten höchstwahrscheinlich nichts über die zugrundeliegenden Pläne der politischen Elite. Für sie war das Programm eine willkommene Gelegenheit, im Ausland zu arbeiten und Geld zu verdienen. Die Arbeiter waren grossteils ungelernte Bauern, Hausierer, Lastenträger oder Tagelöhner und kamen aus einfachsten Verhältnissen. Unter ihnen waren aber auch einige Facharbeiter, welche in der Eisenverarbeitung, der Zimmerei oder der Maurerei ausgebildet waren. Zwar waren diese Arbeiter von den eigentlichen Kampfhandlungen ausgeschlossen, doch wurden sie in kriegswichtigen Industrien eingesetzt und arbeiteten beispielsweise in Waffenfabriken, fertigten Militäruniformen an, kamen in Schiffswerften und im Eisenbahnbau zum Einsatz oder waren in Kohleminen tätig. Diese Industriezweige standen allesamt unter der Aufsicht oder in Verbindung mit den Militärministerien in Grossbritannien und Frankreich. Während des Ersten Weltkrieges kamen beinahe 150.000 chinesische Arbeiter zur Unterstützung der Alliierten nach Frankreich. Zwischen 3.000 und 4.000 von ihnen sollten nie wieder lebendig an ihren Heimatort zurückkehren.
Im August 1917 wurde China schliesslich die Erlaubnis zur Teilnahme am Krieg gewährt. Die Japaner erteilten ihre Zustimmung nur deshalb, weil sie hofften, Frankreich und Russland würden sie daraufhin bei den Friedensverhandlungen nach dem Krieg darin unterstützen, die einstigen deutschen Pachtgebiete und Rechte in China zu erlangen. Obwohl China nach dem Krieg auf der Seite der Gewinner stand, gelang es dem Reich der Mitte nicht, die Souveränität über Shandong zurückzugewinnen, womit es eines der Hauptziele des „Arbeiter als Soldaten“-Programms verfehlt hatte. So entschieden sich die chinesischen Delegierten der Pariser Friedenskonferenz dazu, sich zu weigern, den Friedensvertrag zu unterschreiben. Diese symbolische Geste des Protests gegen den „ungerechten“ Ausgang des Ersten Weltkriegs liess zwar das Shandong-Problem „ungelöst“. Doch trotz dieses diplomatischen Rückschlags hatte die Kriegsteilnahme den Chinesen ermöglicht, das Schicksal ihres Landes auf eine globale Ebene zu tragen und dabei bis zur Unterzeichnung des ersten gleichberechtigten Abkommens mit Deutschland zu gelangen – für die chinesischen Aussenbeziehungen nach dem 19. Jahrhundert war dies keineswegs ein kleiner Schritt. Aus chinesischer Perspektive hatte die Geschichte der „Arbeiter als Soldaten“ den Ersten Weltkrieg damit tatsächlich in eine globale Angelegenheit verwandelt – eine Angelegenheit, die auch für die chinesische Innenpolitik von grosser Bedeutung war.
Ling-ling Lien
Institute of Modern History, Academia Sinicia, Taiwan