/ Forschung
Der Erste Weltkrieg als globaler Krieg
Am 28. Juni 2014 jährt sich die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand zum 100. Mal. Das Europainstitut nimmt den Jahrestag zum Anlass, um das analytische Potenzial der European Global Studies am Beispiel des Ersten Weltkrieges aufzuzeigen.
“A couple of revolver shots probably never before formed a connection between such a line of complicated causes and such an infinite variety of possibly still more complicated affects as those yesterday”, schrieb die New York Times in einem ihrer ersten Berichte über die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gattin Sophie am 28. Juni 1914 in Sarajevo. Nach dem Attentat herrschte für einen Sommermonat diplomatische Funkstille – zumindest an der Oberfläche. In der sogenannten Julikrise gab es in den diplomatischen Hinterzimmern einen hektischen Austausch zwischen den Bündnispartnern, der schliesslich in einer von deutscher Seite unterstützten Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien gipfelte. Die damit in Gang gesetzte Kette von Bündnisfällen führte zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Bereits während des Kriegs begann eine dokumentenreich geführte Diskussion um die Kriegsschuldfrage, die der britische Historiker Christopher Clark mit seiner These von den diplomatischen „Schlafwandlern“ erst jüngst neu belebt hat. In diesen Auseinandersetzungen erschien der Erste Weltkrieg als ein europäischer Krieg, der, so die lange Zeit vorherrschende Sicht, sich erst im Schicksalsjahr 1917 mit der Russischen Revolution und dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten zum Weltkrieg entwickelt habe.
Diese Lesart eines sich erst allmählich ausbreitenden Konflikts widerspricht unserem heutigen Blick auf die Welt des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die politische und wirtschaftliche Abhängigkeit der Kolonien und damit aller Weltregionen – mit Ausnahme Lateinamerikas – von den europäischen Kolonialmächten, die Verdichtung globaler Wertschöpfungsketten, das Zusammenrücken der Welt durch Kommunikation, Eisenbahn und Dampfschiff und die Mobilität von Menschen, Gütern und Ideen brachten einen Grad globaler Integration und wechselseitiger Abhängigkeiten hervor, der unserem heutigen Verständnis von Globalisierung nur wenig nachstand.
Der Erste Weltkrieg besass von Beginn an eine globale Dimension, die lange unterschätzt wurde und die von Historikern nun zunehmend entdeckt wird. Die grenzüberschreitende Verflechtung von Wirtschaft, Gesellschaft und Recht seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war den historischen Akteuren bewusst und drückte dem Handeln von Regierungen, Diplomaten und Staaten ihren Stempel auf. Sobald wir davon ausgehen, dass Ausbruch und Verlauf des Ersten Weltkriegs von dieser Verflechtung Europas mit anderen Weltregionen genauso geprägt wurden wie die ersten globalen Wirtschaftskrisen am Ende des 19. Jahrhunderts, wird das Ausmass der sich ankündigenden „Urkatastrophe“ bereits wenige Tage nach dem Attentat in Sarajevo ersichtlich: Der Ansatz der European Global Studies erlaubt uns, über den Zusammenhang von Globalisierung und Konflikten zu reflektieren und damit ein Kernproblem der Gegenwart in historischer Perspektive zu überdenken.
Das Europainstitut wird auf seiner Website in loser Folge über die globalhistorische Dimension des Ersten Weltkrieges berichten und so das analytische Potenzial der European Global Studies ausleuchten. Der erste Artikel behandelt die Medienberichterstattung in Asien und den USA wenige Tage nach dem 28. Juni 1914 und verweist damit zugleich auf die neuen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, die den „Digital Humanities“ zur Verfügung stehen. Die zitierten Quellen und Bilder können zum Beispiel über NewspaperSG eingesehen werden, ein Digitalisierungsprojekt der National Library Singapore, oder über die digitalisierte Bildsammlung der US-amerikanischen Library of Congress.