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Der Pazifik als vergessener Kriegsschauplatz des Ersten Weltkriegs

"Samoa Yielded without a Struggle." Postkarte, Zeichnung von William Blomfield, 1914/15. Bildquelle: Alexander Turnbull Library/National Library of New Zealand (Referenznummer: Eph-B-POSTCARD-Vol-1-125-top).

Die globale Dimension des Ersten Weltkriegs reichte sogar bis in den Pazifikraum: Die deutsche Kolonialherrschaft in der Region hatte Konflikte mit Australien, Neuseeland und Japan zur Folge. Gleichzeitig kamen Soldaten aus dem Pazifikraum auf europäischen Kriegsschauplätzen zum Einsatz.

Stellt man sich den Pazifikraum mit seinen 25.000 Inseln vor, so hat man oft den brutalen Krieg vor Augen, der ab 1937 in der Region tobte und mit dem Fall zweier Atombomben im August 1945 endete. Mit dem Ersten Weltkrieg wird die Region dagegen nur selten in Verbindung gebracht. Die Vorstellung, der Pazifik sei während des Ersten Weltkriegs eine ‚friedliche‘ Region gewesen, wurde aber schon 1995 vom deutschen Historiker Hermann Hiery infrage gestellt. In seinem Buch über den ‚vergessenen Krieg‘ (Hermann Hiery: Neglected War. Honolulu 1995) widerlegt er Fehldarstellungen der deutschen Brutalität in den Pazifikkolonien und hebt die wichtige Funktion dieser Kolonien als Puffer zwischen den aufkommenden Lokalmächten Australien und Japan hervor. Dieser Beitrag bietet einen nicht ganz so politisch motivierten Überblick über die bedeutendsten Auseinandersetzungen dieses oft übersehenen Schauplatzes des Ersten Weltkriegs.

Die deutsche Kolonialherrschaft im Pazifikraum

Der Beitrag über Kolonialsoldaten, welcher im Rahmen dieser Serie zum Ersten Weltkrieg veröffentlicht wurde, erinnert an die deutschen Kolonien in Afrika und deren Relevanz während des Konflikts. Im Pazifikraum war die deutsche Präsenz im Vergleich jedoch noch bedeutender. Deutsch-Neuguinea bestand beispielsweise aus dem nordöstlichen Teil der weltweit zweitgrössten Insel Neuguinea, dem Bismarck-Archipel sowie weiten Teilen der Inselwelt, die üblicherweise als Mikronesien bezeichnet wird. Damit war das Deutsche Reich nach Grossbritannien die grösste Kolonialmacht im Pazifikraum. Zudem unterhielt Deutschland weitere Kolonialterritorien auf den westlichen Inseln von Samoa und der chinesischen Shandong-Halbinsel. Letzteres Territorium, welches gelegentlich auch als „deutsches Hong Kong“ bezeichnet wurde, hatten die Deutschen nach der Ermordung von zwei deutschen Missionaren im Jahr 1897 für 99 Jahre von der chinesischen Regierung gepachtet. Das deutsche Reichsmarineamt verwaltete dieses Gebiet von der Musterstadt Qingdao an der Kiautschou-Bucht aus (Die Kiautschou-Bucht verlieh der deutschen Kolonie auch ihren Namen). Die Bucht wurde zum Stützpunkt des Ostasiatischen Kreuzgeschwaders der Kaiserlichen Marine, welches sich aus schweren und leichten Kreuzern zusammensetzte und von den Alliierten schon bald nach Ausbruch des Krieges gefürchtet war. Im Gegensatz zu den Kolonien in Afrika waren in den deutschen Pazifikkolonien beinahe keine Verteidigungsvorkehrungen getroffen worden. Abgesehen von Quindao gab es auch keine nennenswerten Kolonialtruppen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die zahllosen Inseln Mikronesiens wurden von weniger als zwanzig Kolonialbeamten verwaltet. Einheimische Polizeikräfte kamen lediglich in Deutsch-Neuguinea zum Einsatz und waren in aller Regel nur unzureichend bewaffnet und schlecht ausgebildet. Während sich die Gouverneure der deutschen Kolonien in Afrika im August 1914 rasch Verteidigungspläne überlegen mussten, wurden die deutschen Territorien im Pazifikraum vollkommen unvorbereitet vom Kriegsausbruch erwischt.

Feindseligkeiten im Pazifikraum

Jegliche Hoffnung darauf, dass Australien, Neuseeland und Japan während des Krieges ihre Neutralität wahren würden, verflog schnell. Die englischsprachigen Regierungen Australiens und Neuseelands folgten Grossbritannien in den Krieg; und Japan versuchte Deutschland infolge eines Marineabkommens mit der britischen Regierung durch ein Ultimatum zur Abgabe der Provinz Qingdao zu drängen. Das Ultimatum blieb jedoch unbeantwortet und Japan erklärte Deutschland am 23. August 1914 den Krieg. Die Anwesenheit eines österreichisch-ungarischen Kreuzers im Hafen von Qingdao veranlasste Japan zudem dazu, zwei Tage später auch dieser Nation den Krieg zu erklären.

Gleich zu Beginn der Feindseligkeiten wurde die grösste Militärmacht der Region, das Ostasiatische Kreuzgeschwader, über den Pazifik und den Indischen Ozean zerstreut. Konteradmiral Maximilian Graf von Spee, Kommandeur des Geschwaders, entschied sich dafür, nicht zur Kiautschou-Bucht zurückzukehren, da er fürchtete, sein Geschwader könnte dort in die Falle der drohenden Attacke Japans auf das deutsche Territorium tappen. Spee war klar, dass sein Geschwader nicht mit der japanischen und russischen Marine mithalten könnte. Ebenso wenig würden seine Schiffe die Geschwindigkeit oder die Feuerkraft des Dreadnought­-Schlachtschiffes Australia erwidern können, welches die Nation mit selbigem Namen einsetzte. Er liess sein Geschwader also auf den Marianen und Karolinen einlaufen und blieb durch eine Funkstation auf der Insel Yap mit dem Heimatstützpunkt in Verbindung. Nachdem dieses Kommunikationszentrum am 12. August jedoch von einem britischen Kreuzer zerstört wurde, hatte Spee keine Möglichkeit mehr mit seinem Pazifikstützpunkt zu kommunizieren und liess seine Flotte auslaufen.

Sein Aufbruch aus Mikronesien weckte unter den Gouverneuren von Deutsch-Neuguinea und Samoa die Hoffnung, Spee könnte mit seinem Geschwader ihre kläglichen Abwehrvorkehrungen gegen die eintreffenden Truppen aus Australien und Neuseeland unterstützen. Selbst die geringe deutsche Präsenz in der Torres-Strasse, einer Meerenge, welche Australien von Neuguinea trennt, löste eine beinahe absurde Angst vor einer Invasion aus, welche vom folgenden Poster anschaulich dargestellt wird.

Diese Befürchtungen waren auch Anlass zur übereilten Reaktion Australiens und Neuseelands, Samoa und Neuguinea einzunehmen. Die neuseeländischen Truppen eroberten Samoa kampflos (lediglich die deutsche Kolonie Togo kapitulierte schneller). Die untenstehende Postkarte zeigt die stereotypische Vorstellung vieler Neuseeländer: Der Deutsche als fauler Trunkenbold, der nur an den eigenen Wirtschaftsinteressen interessiert ist. Auf ähnliche Weise hebt sie die Darstellung des Pazifiks als imaginäre Oase lustvoller Jungfern hervor, die schon seit der Zeit Kapitän Cooks ermüdete Reisende willkommen heissen. Graf von Spee erwog kurzzeitig, dem besetzten samoanischen Territorium zu Hilfe zu kommen, entschloss sich jedoch dagegen. Ein schneller Angriff auf den Hafen Tahitis hatte im Spätseptember ein französisches Kanonenboot zum Sinken gebracht, woraufhin sich das Geschwader langsam an die chilenische Küste zurückzog. Da Spee plante, eine Kreuzerattacke gegen die Marine der Alliierten an unterschiedlichen Orten gleichzeitig einzuleiten, hatte er die Cormoran und die Emden von seinem Hauptgeschwader getrennt.

Im September waren australische Truppen auf Neubritannien gelandet, um die deutsche Hauptstadt Rabaul und die dortige Funkstation in Besitz zu nehmen. Die deutschen Truppen, welche sich zum grössten Teil aus 250 einheimischen Polizisten und etwa 60 Offizieren zusammensetzten, kämpften in einem kurzen Gefecht um die Funkstation in Bita Paka. Zu Verlusten kam es auf beiden Seiten. Wie auch in vielen anderen Konflikten verzeichnete die indigene Bevölkerung mit 30 gefallenen deutsch-melanesischen Polizisten dabei die grösste Opferzahl. Das Bismarck-Archipel und das Festland Neuguineas wurden von Australien regelrecht überrollt, sodass die Besetzung Deutsch-Neuguineas bis zum November 1914 weitestgehend widerstandslos vollzogen war. Der anhaltende Widerstand der Deutschen in Neuguinea war in manchen Fällen gewollt, in anderen aber eher unfreiwillig.

Der österreichische Ethnologe Richard Thurnwald, der mit der Berliner Sepik-Expedition (auch als Kaiserin-Augusta-Fluss-Expedition bekannt) in Verbindung stand, erforschte zu dieser Zeit die ethnischen Gruppen dieses grössten Flusses Neuguineas. Im Dezember 1914 war er mit einer Gruppe von 29 einheimischen Trägern und Soldaten unterwegs. Die australische Besatzungsmacht griff sie auf, da sie annahm, es handle sich um eine Einheit des Hilfskreuzers Cormoran, welcher sich Gerüchten zufolge in dieser Gegend versteckt hielt. Thurnwalds Basislager wurde daraufhin geplündert und ein Grossteil seiner Ausrüstung zerstört. Erst als der ahnungslose Ethnologe Mitte Januar 1915 in der Polizeistation von Angoram angelangte, konnte dieser beinahe komische Zwischenfall aufgeklärt werden.

Hermann Detzner übte dagegen eine aktivere Form des Widerstands aus: Gemeinsam mit einer Handvoll einheimischer Polizisten erklärte er, sich den Angreifern unter keinen Umständen zu ergeben. Nachdem sie sich im schwer zugänglichen Gelände Neuguineas bis zum November 1918 versteckt hatten, stellte sich Detzner den australischen Truppen schliesslich in Finschhafen. In Deutschland wurde Detzner als Lettow-Vorbeck der Südsee bejubelt (eine Anspielung auf jenen deutschen Offizier, der Deutsch-Ostafrika bis zum Ende der Feindseligkeiten verteidigt hatte) und veröffentlichte dort 1920 den Bericht seiner heldenhaften Erlebnisse (Hermann Detzner: Vier Jahre unter Kannibalen. Von 1914 bis zum Waffenstillstand unter deutscher Flagge im unerforschten Innern von Neuguinea. Berlin 1920). Im Buch berichtet er davon, wie er Neuguinea durchkreuzte, dabei immer wieder die australischen Truppen umging und gemeinsam mit seinen ihm ergebenen einheimischen Polizisten das patriotische Lied Die Wacht am Rhein sang. Unter den Deutschen, die sich vom Krieg und dem darauffolgenden Friedensvertrag gedemütigt fühlten, hatte das Buch grossen Erfolg. Zwei deutsche Missionarhttps://europa.unibas.ch/e äusserten jedoch bald Kritik an Detzners Darstellungen und erklärten, ein Grossteil seiner Erzählungen entstamme nicht seinen eigenen, sondern den Erlebnissen anderer – er selbst habe sich dagegen während des Krieges in der Missionsstation versteckt gehalten. So entpuppte sich sein Bericht schnell als Betrug und sein Status änderte sich vom gefeierten Lettow-Vorbeck zum belächelten Münchhausen der Südsee.

Im November 1914 kapitulierte Qingdao. Die deutschen Marinetruppen, welche es ohne ihr Kreuzergeschwader auf nicht einmal 5.000 Mann brachten, hatten in der Stadt und der Shandong-Halbinsel übereilte Verteidigungsmassnahmen getroffen. Bald darauf traf eine Vielzahl an japanischen Truppen ein, unterstützt von einem kleinen Kontingent britischer Soldaten. Die deutsche Verteidigung wurde von der See und vom Land aus bombardiert und der Ausgang der Schlacht war schnell entschieden. Als den Verteidigern die Munition ausging, entschloss sich die deutsche Garnison, das Gebiet aufzugeben. Die japanische Besetzung der mikronesischen Inseln verlief bedeutend friedlicher: Japanische Kriegsschiffe liefen im Gebiet ein und übernahmen zwischen September und Oktober nach und nach die Kontrolle über die strategisch wichtigsten Inseln. Ein von Australien entsandter Geleitzug erreichte das Gebiet zu spät, sodass sich diese Besatzungsmacht zähneknirschend mit dem ‚Trostpreis‘ der Kontrolle über die Insel Nauru zufriedengeben musste.

 
Das Schicksal des Ostasiengeschwaders

Bis November 1914 kamen die Kämpfe in den deutschen Pazifikkolonien trotz Detzner und Thurnwald zu einem Ende. Lediglich Spees Kreuzer stellte für die alliierten Flotten noch eine ernstzunehmende Bedrohung dar. Die Gefahr von Spees kleinem, aber mächtigen Geschwader wurde deutlich, als es beim Seegefecht von Coronel am 1. November einige alternde britische Kriegsschiffe nahe der chilenischen Küste überfiel. Spees Schiffe versenkten zwei britische Kreuzer mit 1.600 Mann. In der deutschen Heimat und unter der deutschen Bevölkerung im Hafen von Valparaíso, wo das Geschwader Vorräte für die geplante Route um das Horn in den Atlantik aufstockte, wurden Spee und seine Mannschaft als Helden gefeiert.

Anfang Dezember entschlossen sich die deutschen Kreuzer zu einem gewagten Angriff auf Port Stanley auf den Falklandinseln. Als die Schiffe ihrem Ziel näher kamen, fiel dem Ausguck auf, dass im Hafen zwei Dreadnought-Schlachtschiffe lagen. Sie waren von der britischen Admiralität entsandt worden, um in Port Stanley Vorräte aufzustocken. Spee war sogleich klar, dass seine schlimmsten Befürchtungen wahr geworden waren und er versuchte, rasch zu flüchten. Als ihm die britischen Schiffe aber immer näher kamen, befahl Spee seinen beiden schweren Kreuzern, der Gneisenau und der Scharnhorst, sich dem letzten Gefecht zu stellen, damit zumindest die kleineren Schiffe eine Chance darauf hätten, zu entkommen. Die beiden Kreuzer waren schnell ausser Gefecht gesetzt, wurden versenkt und nahmen viele Menschenleben mit in die Tiefe. Unter den 2.100 deutschen Soldaten, die an diesem Tag umkamen, waren auch Spee und seine zwei Söhne, welche ihrem Vater nach Qingdao gefolgt waren. Die ausländische Presse veröffentlichte düstere Geschichten von deutschem Heldentum. So schrieb beispielsweise die New York Times am 21. Dezember 1914: „When the Gneisenau sank she was without ammunition, but had refused to surrender. Her officers and men stood on the deck singing patriotic songs as she took her plunge beneath the waves.” Zum Gedenken an das Ereignis wurde es vom deutschen Marinemaler Hans Bohrdt in einem seiner berühmtesten Gemälde auf Leinwand gebannt: Der letzte Mann. Auf diesem Bild sieht man einen einzelnen deutschen Matrosen, welcher den sich nähernden britischen Schiffen trotzend die Flagge des deutschen Reiches entgegenschwenkt, während im Hintergrund die Reste seines Kreuzers rasch in den Wellen versinken. Obwohl es keine Hinweise darauf gibt, dass die im Bild dargestellte Szene auf Tatsachen beruht, inspirierte Bohrdts Gemälde viele junge Deutsche dazu, in die Schlachtfelder Flanderns, Verduns oder an der Somme zu ziehen.

Der Dresden gelang es als einzigem von Spees Kreuzern, der Falkland-Schlacht zu entkommen und in den Pazifik zurückzukehren. Während sie sich an der zerklüfteten Felsenküste Chiles versteckt hielt, machten sich die abgenutzten Motoren und die geringer werdenden Kohlevorräte bald bemerkbar. Bei einem Abstecher zu den Juan-Fernández-Inseln im März 1915 fand sich die Dresden von britischen Schiffen umzingelt. Deren Besatzung versenkte den Kreuzer daraufhin und hielt die Mannschaft bis zum Ende der Feindseligkeiten in Chile gefangen.

Die Zerstörung von Spees Geschwader im Dezember 1914 erfolgte einen Monat nach Abschluss einer gross angelegten Jagd auf den Kreuzer Emden. Vom Ostasiengeschwader getrennt, hatte das Schiff einen erfolgreichen Kreuzerkrieg im Indischen Ozean geführt: Dort hatte die Emden nahezu zwei Dutzend Schiffe gekapert und versenkt. Anfang November war ein Trupp der Emden auf den Kokosinseln gelandet, um eine Funkstation ausser Kraft zu setzen. Bevor die Station eingenommen wurde, war jedoch ein Hilferuf abgesendet worden, der den australischen Kreuzer Sydney zu den Inseln brachte. Die beiden Schiffe trafen aufeinander, und nach einem zweistündigen Feuergefecht war die Emden schwer beschädigt. Um das Sinken des Schiffes zu vermeiden, ordnete ihr Kapitän an, die Emden am Strand der Insel aufsetzen zu lassen. Noch während das Seegefecht tobte, gelang es dem Landungszug der Emden, auf einem Schoner zu entkommen. Als die etwa 50 Männer in Niederländisch-Ostindien ankamen, erfuhren sie, dass Qingdao in der Zwischenzeit an Japan gefallen war. Anstatt die Entwicklung des Krieges im neutralen niederländischen Gebiet abzuwarten, entschlossen sich die Matrosen der Emden dazu, zur Arabischen Halbinsel weiterzufahren. Von dort aus marschierten sie auf dem Landweg langsam zur Eisenbahn in Richtung Konstantinopel, der Hauptstadt des Osmanischen Reichs, und damit in das Gebiet eines der wenigen Verbündeten Deutschlands.

In Deutschland und Australien wurde das Ereignis auf unterschiedliche Weise wahrgenommen. In Berlin wurde die wilde Meute der Emden als Helden in Empfang genommen; die Australier richteten den Fokus dagegen auf die erste siegreiche Seeschlacht ihrer Nation. So berichtete der Sydney Morning Herald am 14. November 1914 stolz: „Monday, November 9, 1914, is a date that will be remembered with pride by the people of Australia for all time. […] [It] has brought home to us the responsibility as well as the glories of nationhood.” Bald schon sollte dieses Ereignis jedoch vom 25. April 1915 überschattet werden, dem Tag der Landung auf der türkischen Halbinsel Gallipoli.

Auch die Rolle des letzten Schiffs des Ostasiengeschwaders hatte sich vom Jäger zum Gejagten gewandelt: Der Hilfskreuzer Cormoran versuchte inzwischen, ein Zusammentreffen mit britischen und japanischen Schiffe im mikronesischen Inselgebiet zu vermeiden. Mit einer erschöpften Mannschaft und schwindenden Rohstoffen entschied sich ihr Kapitän dazu, die Sicherheit des neutralen Guam, einem amerikanischen Territorium, anzusteuern. Nachdem die Mannschaft der Cormoran im Hafen von Agaña angekommen war, wurde sie von den amerikanischen Behörden freundschaftlich aufgenommen. Die Stimmung schwenkte erst mit dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten im April 1917 um. Um die Übernahme des Schiffes durch die amerikanischen Truppen zu vermeiden, versenkte die Mannschaft den Hilfskreuzer. Dabei feuerten die Amerikaner einen Warnschuss über den Bug der Cormoran ab. Ironischerweise war dies die erste abgefeuerte Kugel des bevorstehenden amerikanisch-deutschen Konfliktes. Im Pazifikraum sollte es während des Ersten Weltkriegs auch die letzte bleiben.

Pazifische Truppen an ‚unpazifischen‘ Kriegsschauplätzen

Die letzte Kriegshandlung im Pazifik fand lange vor dem Ende des Ersten Weltkrieges statt. Soldaten aus der Region kämpften jedoch bis zum Ende des Konflikts mit. So sicherten beispielsweise japanische Marineeinheiten Geleitzüge der Alliierten im Mittelmeer. Kolonialtruppen aus dem Pazifikraum kamen zwar in bedeutend geringerer Anzahl zum Einsatz als Soldaten aus Afrika und Asien, aber auch sie beteiligten sich an den erbitterten Gefechten. Französisch-Polynesien stellte eintausend Mann, sowohl Polynesier als auch Europäer, die Seite an Seite mit anderen französischen Truppen in Mazedonien kämpften. Ein Kontingent ähnlicher Stärke verliess Neukaledonien und kämpfte in Frankreich. Die meist melanesischen Einheiten litten unter grossen Opferzahlen: Drei von zehn Männern starben entweder im Kampf gegen die Deutschen oder erlagen Krankheiten. Auf britischer Seite meldeten sich Fidschianer zum freiwilligen Kriegseinsatz. Die rassistischen Ansichten der Briten liessen die indigenen Fidschianer jedoch zu den eigentlichen Kampfhandlungen nicht zu. Nur fidschianische Soldaten mit europäischen Wurzeln nahmen an den bitter geführten Gefechten teil. Die Fidschianer boten an, ihre eigenen Streitkräfte zu stellen und für die Kosten selbst aufzukommen, doch die Kolonialbehörden lehnten das Angebot kategorisch ab. Schliesslich erhielten einhundert indigene Fidschianer die Erlaubnis, als Hilfsarbeiter in Calais zu arbeiten. Der hochranginge Häuptling Ratu Sukuna war besonders unternehmerisch und reagierte auf die britische Abneigung damit, dass er der weniger diskriminierenden und zum damaligen Zeitpunkt dezimierten französischen Fremdenlegion beitrat. Dort bekam er die Gelegenheit sich zu beweisen und erhielt für seine Tapferkeit das Croix de Guerre. Sukunas Erfahrungen im Schützengraben waren ausschlaggebend für sein politisches Engagement im folgenden Krieg. Obwohl Sukuna zwölf Jahre vor der Unabhängigkeit Fidschis im Jahre 1970 starb, wird er noch heute als einer der Gründerväter dieser Nation angesehen.

Die wohl bedeutendsten Kriegsanstrengungen kamen von den neuen Nationen Australien und Neuseeland. Nachdem die oben beschriebenen Zusammentreffen mit kleineren deutschen Einheiten im Pazifikraum nur kaum zu der „Feuertaufe“ taugten, welche Zeitungen wie der Sydney Morning Herald versprochen hatten, bildeten die beiden kleinen Nationen das Australian and New Zealand Army Corps (kurz Anzac). Dieses Armeekorps stellte Stosstrupps, die an allen Schauplätzen des Krieges eingesetzt wurden und deren Opferzahlen über dem Durchschnitt lagen. 59 Prozent der etwa 100.000 Neuseeländer, die sich für den Auslandseinsatz gemeldet hatten, starben oder wurden verwundet. Die australischen Verluste überstiegen diese Zahl sogar noch: Bei den 330.000 Australiern, die nach Europa verschifft worden waren, lag die Zahl der Gefallenen und Verwundeten bei 68 Prozent. Australische Aborigines kamen nicht zum Einsatz, aber den neuseeländischen Maori gelang es, sich in einem Pionier-Bataillon auszuzeichnen. Im Laufe des Krieges sollten die Maori diesem Bataillon mit Stolz ihren Namen verleihen und weitere Personen von der Insel Niue und den Cookinseln anwerben (beide Territorien waren unter neuseeländischer Kontrolle).

Obwohl nur ein Bruchteil des Armeekorpses bei Gallipoli zum Einsatz kam, bleibt dieser Kriegsschauplatz der berühmteste ‚Fleischwolf‘ der Anzac-Truppen. Als der Krieg an der Westfront zum Stillstand kam, hielten die Entente-Mächte nach neuen Einsatzorten Ausschau. Die Dardanellen und die Halbinsel Gallipoli schienen die logische Wahl für ein Landungsunternehmen im Mittelmeerraum zu sein, denn als Ausgangsort lagen sie für einen raschen Vorstoss in Richtung Konstantinopel ideal und boten damit die Möglichkeit, das Osmanische Reich als Kriegsakteur auszuschalten. Da jedoch das Gebiet nur unzureichend ausgekundschaftet worden war und man die Osmanischen Streitkräfte unterschätzt hatte, kam es zum Desaster: Selbst unter gemeinschaftlichen Bemühungen britischer, französischer und Anzac-Truppen war ein Vorankommen unmöglich. Über acht Monate hinweg mussten die alliierten Streitkräfte an den Stränden Gallipolis schwere Verluste hinnehmen. Erst im Januar 1916 setzten sich besonnenere Köpfe durch und ordneten die längst fällige Evakuierung des Gebietes an. Obwohl die Schlacht ihre Hauptziele verfehlt hatte, wurde der 25. April 1915, der Tag der Landung an der Anzac Cove, in Australien und Neuseeland zum Nationalfeiertag erklärt. Die Schlacht von Gallipoli deutete zudem auf aufkommende Differenzen zwischen Australien und Neuseeland und deren Mutterland Grossbritannien hin. Die Anzac-Truppen malten sich immer wieder aus, wie die britischen Generäle von sicherem Gebiet aus Befehle erliessen, während sie die Truppen aus dem Pazifik als Kanonenfutter an die Strände Gallipolis entsandten (solche Vorstellungen waren auch unter jenen britischen Soldaten verbreitet, die in der Schlacht an der Somme kämpften). Diese Mythen wurden durch Filme, Paraden und Lieder bis lange nach dem Tod des letzten Gallipoli-Veteranen (Alec Campbell verstarb 2002) am Leben erhalten.

Der Film Gallipoli (1981), welcher auf den Erfahrungen der Anzac-Truppen basiert, brachte die Karrieren des Regisseurs Peter Weir und des Schauspielers Mel Gibson ins Rollen. Unter dem düsteren Eindruck des Vietnamkriegs, an dem sich ebenfalls viele australische Soldaten beteiligt hatten, verfasste Eric Bogle mit And the Band Played Waltzing Matilda eines der verstörendsten Antikriegslieder. Darin beschreibt er mit schaurigen Liedzeilen einen jungen Australier, der im Gefecht beide Beine verlor: „To hump tent and pegs, a man needs both legs. No more waltzing Matilda for me.“

Rainer F. Buschmann
California State University, Channel Islands

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