Auslandssemester

Interview mit Joël und Chiara zu ihrem Austauschsemester an der University of Ghana
Joël Abevi und Chiara Bugmann, Studierende im MA European Global Studies, verbrachten von Mai bis August 2024 ein Semester an der University of Ghana in Accra. Der Austausch fand im Rahmen einer Partnerschaft zwischen der University of Ghana und dem Europainstitut der Universität Basel statt. In diesem Interview berichten sie von ihren Erfahrungen in Ghana – von ihrem Studienalltag über kulturelle Eindrücke bis hin zu den schönen und den fordernden Momenten ihres Aufenthalts.
Was hat euch dazu motiviert, einen Austausch in Ghana zu machen?
Chiara: Meine primäre Motivation war es, ein Auslandsemester ausserhalb von Europa zu verbringen. Im Studium lernen wir, von der eurozentrischen Sicht wegzukommen. Das wollte ich aus einer Perspektive sehen, die wirklich ausserhalb Europas ist.
Joël: Im Ausland zu leben, ist eine tolle Möglichkeit, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Für Ghana habe ich mich entschieden, weil ich sowieso mal etwas aus Europa rauskommen wollte… nicht nur «European», sondern eben auch «global». Und ich habe Familie in Westafrika und auch eine Cousine in Accra, die wollte ich besuchen.
Welche Kurse habt ihr während eures Aufenthaltes in Accra belegt?
Joël: Ich hatte einen Kurs in Political Economy of African States bei einer Soziologin, das war sehr interessant. Ein Kurs zu Islam und Christentum in Afrika. Einen weiteren Kurs zur Geschichte der panafrikanischen Bewegung und einen Sprachkurs in Ewe, das ist die am zweitmeisten gesprochene Sprache in Ghana.
Chiara: Ich habe den Masterkurs Political Economy in African States mit Joël zusammen besucht. Dann hatte ich noch Social Structure of Modern Ghana, das war ein Bachelor-Kurs, plus den Kurs Colonial History. Ausserdem habe ich noch in einen Twi-Sprachkurs reingeschaut, aber der wurde mir an der Uni Basel nicht angerechnet. Es gibt über 40 verschiedene Sprachen in Ghana und Twi ist eine der Sprachen, die am meisten gesprochen wird. Sehr viele Leute in Ghana sprechen diese Sprache zusätzlich zu ihrer Erstsprache.
Und wie fandest du, Chiara, deine Kursauswahl? Spannend, zu viel, zu wenig?
Chiara: Ich war sehr überrascht, wie viel Aufwand die Masterkurse bedeuteten. Für diese Kurse gab es vor Ort 4 Credits und in Basel bei der Anrechnung doppelt so viele, also 8 Credits. Vom Niveau her waren die Veranstaltungen aber auch sehr anspruchsvoll. Wir mussten sehr viele Texte lesen und sehr viele Leistungsnachweise erbringen, vor allem in Political Economy. Die Dozentin war allerdings auch sehr engagiert und hat uns viele Insights gegeben. Vermutlich wegen Unterbesetzung fanden leider nicht alle Kurse statt. Ich konnte trotzdem sehr viel mitnehmen, wie beispielsweise die Erfahrung in Archivarbeit, als wir ins National Archive von Ghana gegangen sind.
Und wie würdest du, Joël, deine Erfahrungen in Accra ausserhalb des Hörsaals beschreiben?
Joël: Es ist schwierig, das alles auf einen Nenner zu bringen. Sehr spannend und aufregend. Es sieht fast alles anders aus. Eine Strasse ist nicht einfach ein Raum, in dem die Leute sich von Ort zu Ort bewegen, sondern es ist ein Lebensraum; es wird dort gehandelt, gekocht, sozialisiert, ein Nickerchen abgehalten. Man sieht allgemein einfach viel mehr Leute. Es ist eine öffentlichere Kultur. Ein Grossteil meines Alltags hat sich hingegen auf dem Campus abgespielt, der ist ziemlich gross und grün. Man sieht dort wenig von dem Elend, dem man ausserhalb begegnet. Das ist schon ein behüteter Ort. Und ausserhalb des Campus habe ich mich dann natürlich nicht wie ein Local bewegt. Man geht nicht nur dahin und ist dort ein Austauschstudent, sondern man ist Teil einer sehr vermögenden Oberschicht – im Verhältnis zum Grossteil der lokalen Bevölkerung. Das heisst, man lässt sich überallhin chauffieren, man muss sich nicht überlegen, wo man es sich leisten kann, zu essen. Es war eigentlich auch ein paar Monate ein «Klassenwechsel». Und es war auch irgendwie wieder krass, zurückzukommen und zu merken, wie wenig ich mir zum Beispiel in Zürich leisten kann.
Wie habt ihr euch auf den Austausch vorbereitet?
Joël: Ich habe mich beraten lassen welche Impfungen ich brauche; Malariaprävention und so weiter. Ich habe auch nachgelesen, was man als Reisender beachten muss. Ich wollte mich eigentlich auch noch in die Geschichte des Landes einlesen, doch dafür hatte ich leider keine Zeit mehr.
Chiara: Ich habe mir die Homepage der University of Ghana angeschaut um zu sehen, welche Kurse es gibt. Die richtigen Kurse waren allerdings erst vor Ort ausgehängt und eigentlich auch nicht online zugänglich. Darum konnte ich beispielsweise die Kursauswahl gar nicht so gross vorbereiten.
Hattet ihr bestimmte Erwartungen, bevor ihr angekommen seid, und haben sich diese bestätigt oder geändert?
Joël: Ich habe gemerkt, dass ich extrem hohe Standards gewohnt bin, etwa wie das Mobiliar aussehen muss. Als ich dann in ein Klassenzimmer kam und gesehen habe, dass die Stühle und Bänke schon viel gebraucht wurden, war ich erst ein bisschen schockiert. Oder dass der Beamer nicht im Zimmer installiert ist, sondern man diesen beim Sekretariat ausleihen und abholen muss. Es hat mir aber auch aufgezeigt, worum es eigentlich beim Studieren geht: Es nicht darum, in einer perfekt eingerichteten High-Tech Umgebung zu sein, sondern zusammen zu denken, zu diskutieren und Ideen auszutauschen. Und dafür braucht man auch keinen Hochfunktionsbeamer.
Gab es Unterschiede in der Lehr- oder Lernkultur, die euch aufgefallen sind?
Chiara: Mir ist aufgefallen, wie viele im Bachelor studieren und wie wenige dann im Master. Die Masterklassen waren sehr klein und dadurch wurde sehr viel mehr gesprochen. Bei den Bachelor-Kursen gab es jeweils auch während des Semesters Leistungsnachweise. Das kenne ich von Basel eigentlich so nicht. Und dort hat dann teilweise technologisch nicht alles reibungslos funktioniert, etwa bei Online-Prüfungen. Das Studium war insgesamt noch mehr analog – je nach Dozentin.
Joël: Ich habe den Eindruck, dass die Studierenden aus einer Schule kommen, die etwas hierarchischer, also eher «alte Schule» ist. Aber die Dozierenden haben das eigentlich nicht reproduziert. Sie versuchen glaube ich eher, dagegen anzukämpfen, zumindest die Dozierenden, mit denen ich zu tun hatte. Andererseits war da so eine natürlichere Nähe zwischen den Studierenden untereinander, aber auch zwischen Studierenden und Dozierenden. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sich alle schon ein bisschen kennen. So auch im öffentlichen Raum: Dort ist die Hemmschwelle viel niedriger, miteinander zu reden oder um Hilfe zu bitten.
Gab es etwas, das ihr als besonders herausfordernd oder interessant empfunden habt?
Joël: Ja, also das Leben mit 150 anderen Leuten in einem Haus, das fand ich schon herausfordernd. Jedes Mal, wenn man auf die Toilette geht oder Teller abwäscht, trifft man im Gang auf Leute, die einem am Anfang noch fremd sind. Sich mit all diesen Menschen auseinanderzusetzen, zu denen ich eigentlich gerne eine persönliche Beziehung aufgebaut hätte und mit der Zeit auch aufgebaut habe und in deren Lebensraum ich hineingekommen bin, das war für mich herausfordernd.
Chiara: Gleich zu Beginn mussten wir einige administrative Sachen erledigen und auch eine Ghana-Card organisieren, das war schon ein bisschen mühsam. Zum Glück sind wir rund zwei Wochen vor Semesterbeginn angekommen und hatten dann eine Einführungswoche. Das war wirklich hilfreich und wichtig, um sich an die Umgebung zu gewöhnen und die Registrierung abzuschliessen.
Wie habt ihr eure Freizeit verbracht? Gab es bestimmte Orte oder Aktivitäten, die ihr besonders genossen habt?
Joël: Ja, ich bin häufiger ausgegangen in der Stadt. Es gab sogar queere Partys. Die waren nicht mit einer Regenbogenfahne gekennzeichnet und für Aussenstehende war auch sonst nicht so klar, dass es sich um einen queeren Event handelte. Aber eine Freundin von mir aus Ghana, die auch auf dem Campus wohnte, ist Teil der queeren Szene und wusste Bescheid. Ohne sie hätte ich wahrscheinlich nicht davon erfahren. Und ich glaube, wie an so vielen Orten kann man sich auch viel erlauben, wenn man zur oberen Schicht gehört. Es haben nicht alle die Mittel, an so eine Party zu gehen.
Ich habe auch schnell meine queere Gruppe gefunden und das hat mich sehr beruhigt. Ansonsten habe ich auf dem Campus auch Tennisunterricht genommen, das war ziemlich cool. Und noch andere Sportkurse, Pickleball zum Beispiel. Das ist wie Tennis, aber mit einem Unihockeyball und mit Schlägern wie beim Strandtennis.
Chiara: Ich bin joggen gegangen. Es hat einen botanischen Garten auf dem Campus, ein sehr schöner Ort zum Spazieren und zum Sein. Sonst habe ich am Night Market essen geholt, das war auch schon fast eine Freizeitbeschäftigung. Und im International Students Hostel trifft man ständig Leute. Wenn man dort essen geht, trifft man eigentlich immer jemanden und bleibt dann hängen, was total schön war. Und sonst gab es noch ein Fitnessstudio, wo ich unter der Woche Sportkurse gemacht habe. In der Stadt ist auch einiges los, ich finde Accra sehr grossstädtisch. Es gibt da auch viele kulturelle Veranstaltungen.
Letzte Frage: Was würdet ihr zukünftigen Austauschstudierenden raten, die nach Ghana gehen wollen?
Joël: Die Sportkurse waren eine gute Möglichkeit, um mit den ghanaischen Studierenden in Kontakt zu treten. Es gibt auch Studierendenvereine, ich war zum Beispiel einmal an einer Versammlung der Marxistischen Studierendenvereinigung, bei einem Filmabend zum Thema Palästina.
Chiara: Insgesamt fand ich es eine wirklich spannende und lehrreiche Zeit. Ich war auch noch reisen während des Semesters, jeweils Wochenendausflüge und das war sehr schön, dass ich das machen konnte. Mir ist auch aufgefallen, dass die Menschen aus Ghana sehr gerne ihre Heimat zeigen. Sie heissen Leute, die von ausserhalb das Land besuchen, sehr willkommen und geben tiefe Einblicke. Es ist wahnsinnig schön und wertvoll, dies zu geniessen und wertzuschätzen.
Joël: Das Wichtigste ist, dass man offen ist und bleibt. Man sollte es einfach machen und sich nicht von Ängsten oder Befürchtungen zurückhalten lassen.
Interview von Sebastian Held, Studierender des Masterstudiengangs European Global Studies